Kugelblitz in Neuruppin

Vorwort

 

Kugelblitze zählen zu den rätselhaftesten Wettererscheinungen. Wobei eigentlich nicht ganz klar ist, ob es überhaupt eine WETTERerscheinung ist. Offenbar spielt das Wetter jedoch eine Rolle, im Falle von Neuruppin scheint die "Gewitterlage" die Entstehung eines Kugelblitzes begünstigt zu haben.

Es ist dem Einsatz meines Kollegen Donald Bäcker zu verdanken, dass speziell dieser Fall so gut dokumentiert ist, da ich ihn persönlich kenne, verbürge ich mich für seine Recherche. Er war damals Leiter der Wetterstation Neuruppin, von 1990 bis 1992 habe ich selbst an der Station des Deutschen Wetterdienstes gearbeitet. Donald Bäcker ist heute u.a. TV-Wettermann für die ARD.

 

Im Folgenden präsentiere ich das, was Donald Bäcker damals, im Januar 1994, kurz nach dem Ereignis recherchiert hat. Nach einem Aufruf über die Presse, dass sich die Personen bitte bei ihm melde mögen, die das Phänomen gesehen haben, entstand eine Chronologie der Ereignisse, mit erstaunlich ähnlichen oder vergleichbaren Beobachtungen. Ergänzt wurden diese "Laiensichtungen", wobei jeder Laie Nummeriert wurde, durch Beobachtungen einzelner Mitarbeiter der Wetterstation selbst, und die kennen sich mit Wetterbeobachtung bestens aus.

 

W E T T E R L A G E

 

Zu diesem Gewitter kam es, da maritime Polarluft von Nordwesten nach Brandenburg geführt wurde. Darin konnten sich zahlreiche Schauer und auch Gewitter entwickeln. Die Zugbahn des Neuruppiner Gewitters kann man auf Grund von vorliegenden Höhenwindmeldungen und Wetterbeobachtungen direkt nachvollziehen. Es kam von West - Nordwest und zog auf seinem Weg über Boizenburg an der Unterelbe und die 30 km westlich von Neuruppin entfernt liegenden Stadt Kyritz nach Neuruppin.

 

O B S E R V A T I O N E N

 

a) BEOBACHTUNGEN DURCH MITARBEITER DER WETTERSTATION

 

Diensthabender (Th. Hinz): Es wurde ein ungewöhnlich greller Lichtschein in Richtung Nord wahrgenommen, gefolgt von einem überdurchschnittlich lauten Donnerschlag (ca. 10 Sekunden spaeter). Da der Dienstraum nach Norden keine Fenster hat, konnte der Blitz vom Beobachter leider nicht direkt gesehen werden. Danach folgten 3 weitere Entladungen in Form von Linienblitzen. Auszug aus dem Beobachtungstagebuch (was an jeder Wetterstation vorliegt und in das alle Wettererscheinungen wie Regen,Schneefall usw. eingetragen werden muessen, incl. Dauer und Intensitaet) : Gewitter (leicht) N - E 16.06 - 16.28 Uhr   (N= Gewitter war um 16:06 Uhr zuerst im Norden wahrnehmbar, E= Gewitter war zuletzt im Osten wahrnehmbar, es zog demnach nordöstlich an der Station vorbei. Ein Gewitter gilt für den Wetterbeobachter einer Wetterstation als beendet, wenn eine viertel Stunde nach dem letzten Donner kein weiterer Donner wahrgenommen wurde, kurz: letzter Donner 16:13 Uhr = 16:28 Uhr beendet. (Anm. Kreibohm))

 

RS D. Baecker (Stationsleiter) ...hielt sich zum Zeitpunkt des Gewitters im Neuruppiner Stadtgebiet auf (Friedrich-Engels-Str.). Durch ein nach Osten zeigendes Fenster wurde ein sehr greller Lichtfleck wahrgenommen. Es kann mit absoluter Sicherheit gesagt werden, dass es sich um einen Lichtpunkt handelte. Unmittelbar nach dem Verschwinden der Erscheinung  (nach ca. 1 bis 2 Sekunden) wurde ein explosionsartiger Donnerschlag hörbar.

 

ROS`in R.Brockmann ...hielt sich im Stadtgebiet von Kyritz auf. Sie sah blaues Licht in Form von Bündeln oder auch Strahlen dicht über den Hausdächern und zwischen Antennen. Diese Lichtstrahlen bewegten sich und ähnelten sehr dem Licht von Rundumleuchten auf Rettungs- oder Streifenwagen, wenn die direkte Lichtquelle verdeckt ist. Es deutet alles darauf hin, dass es sich hierbei um das sogenannte "St. Elmsfeuer" handelte. Die Lichterscheinung wurde zunehmend heller und dehnte sich flächenmäßig aus. Kurz nach dem Verschwinden der Erscheinung gab es einen Donnerschlag.

 

b) BEOBACHTUNGEN DURCH NEURUPPINER BÜRGER

- sehr glaubwürdige bzw. sehr gut übereinstimmende Beobachtungen:


Farbe und Erscheinungsbild beschrieben fast alle Zeugen gleich. Es wurde ein aeusserst heller Lichtfleck oder auch "Feuerball" beschrieben, dessen Helligkeit dem Blitzlicht eines Fotoappara- tes oder einer Radarfalle der Polizei entspricht. Teilweise wurde die Helligkeit mit dem Lichtschein der beim Schweißen auftritt verglichen.

 

Die Größe der Leuchterscheinung wurde mit der eines Fussballes bis hin zur scheinbaren Größe des Vollmondes be- schrieben. Die Höhe wurde mit 30 m angegeben. Meist wurde der Kugelblitz direkt über den höchsten Hausdächern gesichtet. Bewegungen des Kugelblitzes wurden kaum wahrgenommen. Für die meisten der Augenzeugen stand das "Objekt" ruhig am Himmel.

 

Da sich das Gewitter nicht durch fernes Donnergrollen angekündigt hatte, hielten viele Leute die Erscheinung für ein Feuerwerk oder glaubten, sie seien in eine Geschwindigkeitskontrolle der Polizei geraten. Dass es sich um ein Gewitter handelte, wurde den meisten Bürgern erst nach dem Ertönen des Donnerschlages bewusst. Die Lautstärke des Donners wurde übereinstimmend als überdurchschnittlich angegeben. Man meinte, dass selbst ein in unmittelbarer Nähe auftretender Linienblitz nicht einen derartig lauten Knall verursachen würde. Kriegsveteranen verglichen den Knall mit der Explosion einer Granate. Bis auf eine Ausnahme hörten alle Zeugen den Knall erst nach dem Auftreten der Leuchterscheinung.

 

Die Dauer der Erscheinung wurde mit etwa 2 bis 3 Sekunden an- gegeben. Nach dem Verschwinden des Lichtpunktes erfolgte der Donner unmittelbar danach oder nur wenige Sekunden später (abhängig vom Beobachtungsort).

 

Die Leute, die den Kugelblitz nicht direkt sahen, berichteten über einen für wenige Sekunden grell erleuchteten Himmel, wobei teilweise sogar Schattenbildung beobachtet wurde.

 

Fast alle Zeugen versicherten, eine derartig ungewöhnliche (oder auch unheimliche) Beobachtung nie zuvor in ihrem Leben gemachtzuhaben und waren äusserst beeindruckt. Wenn nicht die Nachfrage der Wetterstation Neuruppin über die örtliche Presse gekommen wäre, hätten sich die meisten Bürger nicht getraut, ihre Beobachtungen offen an den Tag zu legen.

 

Anmerkung: Sicherlich wird der Aufruf in der örtlichen Presse auch dazu geführt haben, potentielle Zeugen aktiv werden zu lassen, um sich in den Vordergrund stellen zu können. Allerdings traten unglaubwürdige Aussagen nur in 3 Fällen auf.

 

-spektakuläre Beobachtungen

 

Wie schon in Kyritz, so wurde auch in Neuruppin "St.Elmsfeuer" beobachtet. An der Erscheinung des "St.Elmsfeuers" ist nicht zu zweifeln, allerdings sind die Beobachtungsorte recht ungewöhnlich:

  1. Augenzeuge 7 war gerade dabei, Sand zu sieben. Er schaufelte Sand in seine Schubkarre, auf der ein Sandsieb lag. Auf diesem Sandsieb sah er plötzlich ein bläulich züngelndes Licht.

  2. Zeugin 26 war gerade beim Telefonieren. Da sie den Hörer etwas vom Kopf abhielt, bemerkte sie einige bläuliche Funken an der Sprechmuschel, begleitet von einem "knatternden" Geräusch.

  3. In der Nähe der Lindenallee (28) wurde ebenfalls "St.Elmsfeuer" gesichtet. Hier war es allerdings weiter vom Beobachtungsort entfernt. Die Erscheinung wurde mit einem Kurzschluss in einer Überlandsleitung verglichen.

  4. In der Neuruppiner Gentz-Schule (19) fielen sämtliche Telefone aus. Eine Elektronik-Firma sprach von verbreiteten Schäden, speziell an Telefonanlagen.

  5. Augenzeuge 31, der ebenfalls gerade telefoniert hatte, berichtete, dass die bestehende Verbindung zusammenbrach und dass alle Sicherungen in seiner Wohnung durchbrannten.

  6. Die Warnanlagen der beschrankten Eisenbahnübergänge am Rheinsberger Tor und in der Gildenhaller Allee machten mit aktivem Warnblinken auf sich aufmerksam, obwohl  k e i n  Zug in der Nähe war.

  7. Im Nebenraum des Raumes, in dem ich mich befand (21), wurden zeitgleich mit dem Auftreten des Kugelblitzes Kinderspielzeug aktiviert (obwohl sich niemand in diesem Raum befand). Dabei handelte es sich um einen Spielzeugdino, der auf dem Kopf zwei Metallkontakte besitzt, die bei Berührung (z.B. mit dem Finger) zur Lautäusserung führen.

Die spektakulärsten Beobachtungen sind jedoch leuchtende, faustgrosse Lichtkugeln in geschlossenen Räumen !!! Diese Beobachtungen wurden von mir zunächst als unglaubwürdig eingestuft. Jedoch berichteten mehrere Zeugen unabhängig voneinander von solchen schwebenden Lichtkugeln mit grell-weissem Licht (ähnlich einer schwebenden starken Glühlampe), die entweder durch das Fenster hereinkamen oder im Raum plötzlich auftauchten, sich im Raum bewegten, wieder zum Fenster hinaus flogen oder auch unter kurzzeitiger Schweifbildung durch die geschlossene Reinigungsöffnung eines Schornsteines verschwanden.

 

-Zeugin 14 sah einen Lichtpunkt in einem Gebäudeinnenhof. Der ca. 1m grosse "Feuerball" schwebte von rechts oben herab, schien kurz die Aussenwand zu berühren und verschwand dann direkt in vertikale Richtung. 

 

-Augenzeuge 17 war mit dem Auto auf dem Seedamm in Richtung Neuruppiner Innenstadt unterwegs, als er einen grellen weissen Lichtball vom Himmel sinken, das Auto überqueren und rechts des Seedammes, vermutlich im Ruppiner See, niedergehen sah. Während der Überquerung des Autos waren alle Scheiben "weiss und undurchsichtig" (vermutlich durch Reflektion/Lichtbrechung, die kurzzeitig zu Undurchsichtigkeit führte). Vor Schreck hielt der Autofahrer an und stieg aus. Er berührte das Dach seines Autos mit der Hand und stellte eine gewisse Erwärmung fest.

 

Aus meiner Sicht sind das "St.Elmsfeuer" und auch die beschriebenen kleinen Leuchterscheinungen eventuell als Begleiterscheinung des "richtigen" Kugelblitzes zu charakterisieren.

 

Gänzlich unglaubwürdig sind nur zwei Aussagen, da die Beobachtungsrichtung absolut von der der anderen Augenzeugen abweicht. Ein weiterer Zeuge schien eher ein UFO als einen Kugelblitz gesehen zu haben. Die Beobachtungsrichtung stimmte zwar, doch hörte der Beobachter ein Geräusch wie von einem Flugzeug verursacht und vernahm den Donner, bevor die Lichterscheinung verloschen bzw. abgezogen (weggeflogen?) war.


E R K L Ä R U N G S V E R S U C H E

Fast alle Augenzeugen meldeten sich bei mir telefonisch. Sie erhielten eine durchgehende Nummerierung.

Diejenigen, die eine Blickrichtung und eventuell auch Zeiten angeben konnten, wurden im an der Wetterstation

vorliegenden Stadtplan eingezeichnet. Verblüffend war die Übereinstimmung der beobachteten Richtung, so dass ein "Zentrum" , in dem der Kugelblitz aufgetreten und explodiert sein muss, lokalisiert werden konnte.

 

Eine Erklärung für die beobachteten Erscheinungen ist mir nur in Ansätzen möglich. Für das "St.Elmsfeuer" gibt es eine relativ einfache wissenschaftliche Erklärung. Es tritt auf, wenn ein sehr hohes Spannungsgefälle in Bodennähe besteht. Dies ist besonders bei Gewittern der Fall, da sie erhebliche Anomalien im elektromagnetischen Feld der Atmosphäre darstellen. Dabei finden an aufragenden spitzen Gegenständen lichtschwache Gasentladungen in Form von bläulichen Büscheln oder Lichtüberzügen statt. Diese harmlose Erscheinung ist relativ häufig im Gebirge und auf See, aber nur selten im Flachland zu beobachten.

 

Für die Entstehung des Kugelblitzes habe ich keine Erklärung. Auch in der Literatur scheiden sich an dieser Erscheinung die Geister. Interessant erscheint mir der Anruf eines älteren Herren aus dem ehemaligen Ostpreussen, der schon desöfteren Kugelblitze (in Ostpreussen, nicht in Neuruppin!) gesehen haben will. Er zeigte sogar Bereitschaft, " unter Eid " auszusagen. Kugelblitze sah er sehr häufig, fast jedes Jahr, allerdings nur in unmittelbarer Nähe der Ostsee. Im Binnenland, etwas weiter von der Küste entfernt, sah er jedoch nie Kugelblitze. Diese Aussage hielt ich vorerst für unbedeutend bzw. rein zufällig. Als jedoch die Lokalisierung des "Kugelblitzzentrums" ergab, dass der Neuruppiner Kugelblitz ebenfalls in Wassernähe beobachtet wurde, wurde ich hellhörig. Treten Kugelblitze vielleicht nur in Gebieten mit lokal etwas erhöhter Luftfeuchtigkeit auf?

 

Die Tatsache, dass Kugelblitze immer noch nicht vollends nachgewiesen bzw. erklärbar sind, ließen mich diese Beobachtungen als einem grösseren Gremium mitteilenswert einstufen.


Wetterstation Neuruppin im Februar 1994, gez. Donald Bäcker

 

(aufgeschrieben im Meteorologischen Institut der Freien Universität zu Berlin Berlin, im November 1994,

gez. Stefan Kreibohm)